Das bedingungslose Grundeinkommen (5) von Hans-Jürgen John

Der neue Ansatz nun bedeutet: Die Gesellschaft ist nicht das Wichtigste. Das Individuum zählt mehr. Das Lustprinzip soll herrschen. Das Wollen und die Wünsche des Einzelnen. Denken wir es durch. Die Mutter sagt: «Du hast Dein Zimmer nicht aufgeräumt! Heute triffst Du Dich nicht mit Deinen Freunden zum Spielen!» So dürfen wir nun entgegnen: «Ich habe keine Lust. Ich bekomme keinen Besuch. Es reicht, wenn ich das Zimmer einmal die Woche aufräume. So spare ich viel Zeit und wir haben weniger Streit wegen dieser Kleinigkeit.»

Ich höre schon die Kritiker! Was soll denn dieses Beispiel mit dem Grundeinkommen zu tun haben? Nun. Es geht um grundlegende Dinge. Wie viele Jobs gibt es in der Wirtschaft, die rein kreativ zu bewältigen sind? Jobs, die kein Wissen voraussetzen, das wir in Prüfungen nachgewiesen haben. Lernen erfordert Disziplin. «Nein heute gehe ich mal lieber Joggen und lasse die drei Vorlesungen an der Uni ausfallen!» Bekommen wir Geld ohne Gegenleistung, so wird sich unser komplettes Leben nach dem Lustprinzip ausrichten und alles was wir heute um uns sehen verändern.

Haben wir Hunger und möchten essen, so sind wir in Indien wie in vielen Ländern dieser Erde darauf angewiesen zu arbeiten. In Deutschland beantragen wir Sozialhilfe, wenn wir keinen Job haben. Die stärksten Gefühle, die den Menschen seit Jahrtausenden antreiben und ihm bis heute die Existenz vor allen anderen Lebewesen auf der Erde gesichert haben werden schachmatt gesetzt. Gefühle, die uns antreiben zählen nicht mehr. So wird der Antrieb eine Arbeit zu suchen und zu finden in unseren Breitengraden geringer. Der Anreiz auf Kosten des Gemeinwohls zu leben ist höher.

Fällt nun dieser Antrieb eine Arbeit zu suchen mit dem staatlich garantierten Grundeinkommen ganz weg, wo finden wir uns dann wieder? Plötzlich hat der Einzelne mehr Zeit. Werden wir beginnen miteinander zu streiten und wird die Kriminalität und das Gewaltverbrechen zunehmen? Studien zeigen, dass in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit die Kriminalität steigt. Auch an Feiertagen oder zu Weihnachten, wenn die ganze Familie zusammen ist kracht es gelegentlich ganz ordentlich in der Kiste. Unsere tägliche Arbeit gibt uns Struktur für den Tag und stärkt unsere Selbstdisziplin. Und vor allem sorgt sie nebenbei dafür, dass wir wenig Zeit für Streitigkeiten in der Familie haben.

Doch theoretische Überlegungen helfen wenig. Sie bringen allenfalls die Diskussion in Gang. Es braucht Feldversuche, um das Verhalten der Menschen nach Einführung eines Grundeinkommens langfristig zu untersuchen. Feldversuche in größeren Gebieten. Wer beginnt damit? In Deutschland wäre aus organisatorischen Gründen ein Bundesland ideal… oder in der Schweiz ein Kanton.

Und doch bleibt ein schaler Nachgeschmack. Der Staat würde sich mit der Einführung des Grundeinkommens aus der sozialen Verantwortung gegenüber seinen Bürgern stehlen. Die Bürgerinnen und Bürger, die mit dem Grundeinkommen nicht auskommen bleiben auf der Strecke, wenn die Sozialsysteme abgeschafft sind.

Soweit hätte es mit der Überschuldung der Staaten nicht kommen müssen. Die Nachteile und Schwachstellen der demokratischen Systeme sah bereits der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften 1986 James M. Buchanan. Er schlug 1977 einen Zusatz zur amerikanischen Verfassung vor: Der Präsident ist verpflichtet, dem Kongress jedes Jahr einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen… (Finanz und Wirtschaft, Zürich 12.01.2013: «Hätte man bloss auf ihn gehört» von Manfred Rösch). Seine Forderungen verklangen ungehört und unberücksichtigt. Die demokratisch gewählten Regierungen sind gezwungen mit Blick auf ihre Wiederwahl dem Wähler finanzielle Geschenke zu machen und reiten den Staat so in die Schuldenfalle. Kurze Amtsperioden verschärfen das Problem. Willkommen in der Gegenwart!

Im Artikel «Die Ursachen und Folgen politischen Handelns (1)» ging ich bereits im Juni 2012 auf dieses Thema ein: «Und schon sind über die eigentlichen Ursachen bei einer der Folgen einer Politik kurzfristiger Ziele angelangt: Der Eurokrise. Die Eurokrise ist eine Schuldenkrise. Sie offenbart die Schwächen politischer Systeme, die auf Wahlerfolge fokussiert sind.»

© 2013 Hans-Jürgen John

Hans-Jürgen John ist auf Twitter, auf Facebook und bloggt u.a. auf Johntext Schweiz.

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