Entschuldigung!

Es gibt Menschen, die machen andere fortwährend für ihr Scheitern im Leben verantwortlich. Es ist sehr viel leichter, als an sich selbst etwas zu ändern. Das Ich darf nicht in Frage gestellt werden. Das Ego könnte ja einen Kratzer bekommen. Neben dem Lack unseres liebsten Kindes – dem Auto – glänzen wir nach aussen am liebsten mit unseren Vorzügen. Mehr Schein als Sein?

Und doch sind wir unter der Oberfläche ängstliche, hungrige und verzweifelte Menschlein. Wir leben in ständiger Furcht vor dem Aussergewöhnlichen, das unser Leben über den Haufen werfen könnte. Wir sind hungrig nach Anerkennung und Aufmerksamkeit – nur so lässt es sich erklären, dass es Nobelpreisträger und Bankräuber gibt. Die einen erreichen Aufmerksamkeit gesellschaftlich akzeptiert und die anderen können und wollen nur im Negativen teuflisch glänzen. Und verzweifelt müssen wir erkennen, dass die Jahre vorüberziehen, ohne dass wir die Liebe oder das Glück mehr als temporär für uns interessieren können. Wie gut, dass es da die Möglichkeit gibt sich zu entschuldigen.

Wie sagt man Entschuldigung? Das kennt nun jeder. Wir rempeln auf der Straße unabsichtlich jemanden im Gedränge an und sagen durch «Sorry» oder «Entschuldigung», dass es keine Absicht war.
«Entschuldigung» ist ein Wort. Genauer gesagt ein Substantiv.
Doch es ist viel mehr als das. Wir benutzen es als Schild gegen eine womöglich heftige Erwiderung unseres Gegenüber: «Sie blöder Kerl, alle meine Einkäufe liegen jetzt herum. Können Sie nicht aufpassen?»
Und je mehr und öfter wir uns am Tage entschuldigen müssen, umso leichter geht sie uns von den Lippen – die geduldige Allzweckwaffe. Ja, wir nutzen sie als Mittel, um unsere Mitmenschen uns gewogen zu machen. Jemand, der sich entschuldigt, kann kein schlechter Mensch sein.

Es beginnt im Kindesalter. Zufällig spiele ich mit dem gelben Schaufelbagger meines Freundes, als dieser kurz abgelenkt ist. Um eine Szene zu vermeiden, präsentiere ich den gelben Bagger auf ausgestreckter Handfläche und sage mit meinem schönsten Lächeln: «Gehört der Dir?» So geht es in einem fort.

Vor Gericht zeigt es Wirkung, wenn wir Reue zeigen und uns beim Opfer entschuldigen, sofern es noch am Leben ist. Das drückt das Strafmass für gewöhnlich. Entschuldigungen gelten als Reaktion auf eine von uns verursachte Aktion. Fast könnte man meinen, es ist ein Reflex geworden, sich durch Entschuldigungen von schuldhaftem Verhalten – unabsichtlich oder absichtlich loszusagen.

Manchmal plappern wir darauf los: «Du hast aber einen schönen Pullover. Hast Du den zu Weihnachten geschenkt bekommen?» Und schon sitzen wir mitten im Fettnäpfchen. Indirekt haben wir nämlich gesagt, der Pulloverträger hätte keinen guten Geschmack und der Pullover wäre nur deshalb so schön, weil er von anderen gekauft wurde. Hier kommt nun die Intuition ins Spiel. Bemerkt der andere das schräge Lob nicht als solches, würde eine Entschuldigung ihn nur auf unseren Fehltritt aufmerksam machen. Also halten wir lieber die Klappe und wechseln das Thema.

Wir können Entschuldigungen variieren. Das reduziert die Auffälligkeit wenn wir uns oft dieser Entschuldigungen bedienen. «Entschuldige vielmals.» «Ich muss mein Verhalten entschuldigen.» «Pardon.» «Verzeihung.»

Wenn wir um Verzeihung bitte, haben wir richtig Mist gebaut. Wir haben jemanden tief verletzt. Fremde, Freunde, Lebenspartner. Sind es Menschen, die uns nahe sind, so wiegt eine Verletzung doppelt schwer. Wir kennen sie und ihre Stärken und Schwächen und müssten eigentlich wissen, wie wir uns zu verhalten haben. Trotzdem haben wir ihnen wehgetan. Um Verzeihung bitten, reicht da nicht. Eine ausführliche Erklärung muss her. Nun beginnt die ehrlich gemeinte Schilderung der Ereignisse. Warum habe ich mich falsch verhalten? In welcher Lebenssituation war ich? Wie soll es weiter gehen?

Es gibt wohl Ereignisse, die nicht umkehrbar sind und daher nicht entschuldbar. Wenn großer Schaden entstanden ist oder Menschen umkamen, sind Entschuldigungen bei den Geschädigten oder den Hinterbliebenen der Opfer angebracht. Verzeihung kann kaum aufgebracht oder gewährt werden. Es gibt auch Fälle, in denen der Schadensverursacher selbst seine Handlung so gravierend einschätzt, dass er diese Schuld durch Selbstmord tilgen möchte. Das hieße, einen Fehler mit einem anderen ausmerzen zu wollen. Unnützes und unfaires Verhalten gegenüber den Mitmenschen und eigenen Angehörigen.

Und doch ist ein hochfrequentes Entschuldigungsverhalten ein Indiz, dass ein Mensch einfühlsam ist und es gerne harmonisch hat. Auf die Glaubensebene übertragen fühlen wir uns wie der Sünder im Beichtstuhl beim Priester. Wir möchten Absolution und Vergebung. Und wir sind glücklich, wenn wir sie gratis serviert bekommen. Und die Glaubensvertreter sind froh, wenn sie vergeben dürfen.
Was würde wohl geschehen, wenn wir alle Entschuldigungen abschaffen? Einfach so. Nur für einen Tag. Überall auf der Welt. Wären wir ohne diese allgegenwärtigen Verhaltenspuffer bessere Menschen? Wir müssten darauf verzichten, unser Verhalten entschuldigen zu können. Das heißt, wir würden aus Angst anzuecken und Aggressionen oder Konflikte auszulösen unser Verhalten konformistisch anpassen.

Was sind wir ohne Entschuldigungen? Vorsichtige und ängstliche Wesen, die vorausschauend durch das Beziehungsleben fahren und an jeder roten Ampel halten. Wir könnten kein Bedauern bei Fehlverhalten ausdrücken. Jedes falsche Wort wäre eine Wunde, die wir unseren Mitmenschen zufügen, ohne sie mit einem «Sorry» heilen zu können.

Was würde uns das zeigen? Die riesige Bedeutung dieser vierzehn Buchstaben und unsere Abhängigkeit vom Wohlwollen unserer Mitmenschen.

© 2013 Hans-Jürgen John

Hans-Jürgen John ist auf Twitter, auf Facebook und bloggt u.a. auf Johntext Schweiz.

Hinterlassen Sie einen Kommentar