Geschehen, das haften bleibt von H.-J. John

Geschehen, das haften bleibt

 

Mit vierzehn habe ich mit Drogen angefangen, sagt sie und schwenkt die Bierflasche in der Rechten.

Wir sitzen nebeneinander auf den Betonstufen, die ins brauntrübe Wasser der Donau hinunterführen. Enten paddeln vorbei und zurück und Dreieckspuren entstehen und vergehen wie die Worte neben mir. Leise und unwirklich. «Dann bin ich mit meiner Schwester in eine Wohnung gezogen.» Sie ist behindert und braucht Pflege.

«Alle Achtung». «Ja, es kommt jemand vom Pflegedienst», relativiert sie den Heiligenschein für aufopferungsvolle Pflege, den ich ihr andienen wollte. «Für sechs Stunden ist jemand da.» Sie grübelt über den Namen des Pflegedienstes und gibt nach kurzem Nachdenken auf.

«Und jetzt bin ich hier am Gymnasium und fange wieder damit an.» Ich nehme an, sie meint die Drogen. Ich erinnere mich an einen Dokumentarfilm im Fernsehen. Ein Mädchen, gerade mal dreizehn und drogenabhängig wird von einem Fernsehteam begleitet. Es dokumentiert ihren Drogenkonsum und die Auswirkungen auf ihr Umfeld. So geht es weiter in bestimmten Zeitabständen mit dem Dokumentieren bis sie 29 ist und tot.

Ein Satz ist mir im Gedächtnis geblieben. «Wenn ich selber nicht will, kann mir niemand helfen.» «Ich kann nichts sagen was dir hilft, wenn du nicht selbst es auch willst.»

Sie geht nicht darauf ein. Anne heisst sie. Ein Junge mit verfranzten Haaren taucht auf. Sympathisch. Er setzt sich neben uns. Anne kennt ihn. Ein Gespräch beginnt, das mir nicht behagt.

«Hast du orangene?» Ich beginne meine Gitarre einzupacken. «Willst du schon gehen?», fragt er. Sie versteht, bevor ich antworten kann. «Er will mit Drogen nichts zu tun haben.»

Es ist ein heisser, schwüler Sommer. An der Donau treffe ich abends ein bunt gemischtes Völkchen, das keine Berührungsängste kennt. «Woher und Wohin? Aus Sigmaringen? Mit dem Rad bis an die Donau?

Spielen sie mir ein Lied zum Abschied.» Die Dame macht ein Foto. «Das glaubt mir sonst niemand zu Hause.»

Wieder Anne. Sie hat sich einer Gruppe Punks angeschlossen. Als sie mich sieht kommt sie herüber. Wie gehts und wie stehts. Wieder die Bierflasche in der Rechten. «Willst du auch ein Bier?» Ich lehne dankend ab. Ihr Psychologe ist zur Zeit nicht greifbar. Schulferien. Welch einfache und grausame Begründung.  «Ich habe Langeweile.» «Du könntest dich nach einem Ferienjob umsehen.» «Ja.» Sie nickt und verabschiedet sich. Von spießigen Spaßbremsen über Dreissig wird kein Ratschlag ernsthaft erwogen. Ich beobachte sie. Es ist der Gruppenzwang, nehme ich an.

Sie ist sehr hübsch. Weiss sie wie viele Jüngere sie als Vorbild nehmen und ihr nacheifern wollen und werden und versuchen, ihr Verhalten zu kopieren? Wie viele andere werden in ihrem Fahrwasser untergehen? Ich sehe den Enten zu, die ihre Bahnen ziehen. Stadtluft macht frei. Innerhalb der Stadtgrenzen werden sie nicht geschossen.

Wenn Anne sich klar macht, welche Verantwortung sie gegenüber anderen hat, kann sie sich ändern. Ich nehme mir vor, sie das nächste Mal darauf anzusprechen. Wir haben uns nicht mehr gesehen.

© 2010 Hans-Jürgen John

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