Das Opfer (1994) – Ein Drehbuch

Aufblende
BÜRO/MANHATTAN INNEN/ABEND

FRANK sitzt über Akten an seinem Schreibtisch. Der Boden ist mit Papieren übersät. Er nimmt die Brille ab und wischt sich mit der linken müde über die Augen. Das Telefon LÄUTET. Langsam setzt Frank die Brille auf, wirft einen Blick auf seine Armbanduhr.

FRANK

Scheiße.
Sich mit beiden Händen auf den Schreibtisch abstützend, erhebt er sich vom Holzstuhl, schiebt ihn mit einem Fuß zurück und geht hinüber zum Telefon. Während er abhebt, massiert er mit der freien Hand seine linke Schläfe.

FRANK

Ja, hallo?

MARK

Guten Abend. Keine Bewegung. Ich hab sie genau im Fadenkreuz eines Zielfernrohres.

FRANK

Wer…?

MARK

Sie kennen mich nicht. Ich sie umso besser.

FRANK

Was wollen sie?

MARK

Sie töten, sobald sie sich bewegen. Haben sie kein Geld für Vorhänge?

FRANK

Was?

MARK

Vorhänge sind ja so teuer.

FRANK

Sie stehlen das Licht, welches Fenster zu geben bereit sind.

MARK

In jeder Situation cool bleiben, was?

FRANK

Bitte?

MARK

Vergessen sies. Die Antwort hilft ihnen nicht mehr. Eine klitzekleine Chance haben sie noch. Nur ich weiß darum. Es gibt immer einen winzigen Ausweg, egal wie vertrackt eine Situation zu sein scheint.(Pause) Hören sie! Sie sollten besser mit mir reden. Ich bin der einzige, der weiß, wie sie mit dem Leben davonkommen könnten. (Pause) Das wollen sie doch, oder?

FRANK

Was bekommen sie für den Job?

MARK

Warum, was kümmert es sie?

FRANK

Ich würde gerne erfahren, wie viel mein Leben wert ist.

MARK

(verbessert)

Ihr Ableben, ihr Tod, meinen sie.

FRANK

Wie viel?

MARK

Sie wollen Zeit schinden.

FRANK

Nein, ich hänge nicht mehr sehr am weltlichen.

MARK

(aufgeregt laut)

Sie bluffen. Sie HABEN Angst. Jeder hat Angst. Die, die es nicht zugeben am meisten.

FRANK

Es gibt Situationen, da ist er Erlösung. Wir sehnen ihn herbei.

MARK
(schreit)

Lügner. Verdammter Lügner. Du gönnst es mir nicht. Du gönnst mir den Spaß nicht, dich leiden zu hören. Jeder hat Angst.
(leiser) Depressionen gehen vorüber und weil du das weißt, weil du dich auf kommende, schöne Augenblicke freust, hast du Angst.(schreiend)
Sag: Ich habe Angst. Eine Scheißangst. Sag es oder ich knall dich ab. Sag es. (Pause/Stille) Sag es verdammt noch mal.

FRANK

Wovor hast du Angst?

MARK

Du bist verrückt. Du reagierst nicht normal, nicht so wie andere. Ich sitze am Drücker. Du verkennst die Situation. Meine Sorge an deiner Stelle wäre, dass die Verbindung nicht abreißt. Ich müsste losballern, ohne das erhabene Gefühl zu kennen, dich von deiner Todesangst befreit zu haben.

FRANK

Nachdem du versucht hast, sie mir einzureden.

MARK

Na und? Ansichtsache. Du hast Angst. Tüchtig Schiss hast du, aber, ja verdammt.
Du hast dich gut in der Gewalt. Vermutlich ein paar Bücher über Psychologie gelesen oder einen Kurs an der Volkshochschule belegt oder sogar einige Vorlesungen zum Thema an der Uni besucht.

FRANK

Du interessierst dich für mich. Warum solltest du mich töten wollen.

MARK

Es ist mein Auftrag oder meine Bestimmung. Ganz wie du willst.

FRANK

Jeder stirbt einmal.

MARK

Die einen früher, die anderen später.

FRANK

Philosophie.

MARK

Was?

FRANK

Du hast es studiert. Auf jeden Fall interessiert es dich.

MARK
(aufgebracht)

Vermutung, nichts als Vermutung. Ein Schuss ins Dunkel sozusagen.

FRANK

Und ich habe getroffen.

MARK

Nein!

FRANK

Wenn einer im Dunkeln schreit, weiß man, dass man getroffen hat.

MARK

Du kommst dir wohl sehr schlau vor. Ich werde dir etwas erzählen. Zuerst schieße ich dir ins Bein. Na, wie gefällt dir das?

FRANK

Angeber. Mit Zielfernrohr kein Problem für einen Anfänger.

MARK

Woher weißt du?

FRANK

Intuition. Eine Zeitungsannonce. Sie haben dich über die Stellenanzeigen geworben.

MARK

Ich komme mir schon vor wie beim heiteren Beruferaten im Fernsehen. Mit einem Unterschied.

FRANK

Der wäre?

MARK

Hier kannst nur du verlieren. Auch wenn du herausfinden solltest wer ich bin. Ha ha ha. Ist das nicht komisch?(kichert hysterisch) Es nützt dir nichts mehr.

FRANK

Ich habs. Jetzt weiß ich wer du bist.

MARK

Was? (schreit) Nicht bewegen hab ich gesagt.

FRANK

Schon passiert. Sie werden meine Leiche finden. Meinen Körper und deinen Namen.

MARK

Was? Du bluffst. Woher solltest du mich kennen? Verdammt. Was hast du aufgeschrieben? (Pause) Nein, ich will es nicht wissen.

FRANK

Mach endlich Schluss.

MARK

Du glaubst, du kommst davon? Irrtum.

FRANK

Schieß endlich. Und ziele gut.

MARK

So einfach ist das nicht. Es ist deine Schuld. Hättest du Angst gezeigt, dich natürlich verhalten, wir wären schon längst fertig. Aber so. Du dachtest, du könntest mich an der Nase herumführen, den Spieß umdrehen. Ich hasse Leute, die sich aufführen, als wären sie mir überlegen. Fangen wir also bei der Kniescheibe an oder soll ich etwas höher halten? Es ist sowieso aus mit dem Vatertag.

FRANK

Wehe du hältst dich nicht an deinen Auftrag.

MARK
(stutzt)

Was weißt du schon davon?

FRANK

Von langsamer Todesqual war nicht die Rede. Denk an die andere Hälfte der Prämie. Noch hast du sie nicht.

MARK

Red weiter. Alles sehr interessant. Haben sie dich vorgewarnt? Ja, so wird es sein. Sie wollten dir schon etwas Feuer unterm Hintern machen.

© 1994 – 2011 Hans-Jürgen John

Ende der Leseprobe

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