Versetzen wir uns in die Lage der Bürgerinnen und Bürger, die überlegen Aktien zu kaufen. Leicht ist nachvollziehen, dass sie im Zweifelsfall im Jahr eins nach der erfolgreichen Umsetzung der Abzocker-Initiative in Aktien eines Schweizer Unternehmens investieren werden. Hier können sie dann in Zukunft sicher sein, dass die Manager jeden Tag (vor Angst?) schwitzend versuchen, das Beste aus ihrem Job zu machen. Fehler können diese sich nicht mehr leisten. Entweder werden sie direkt durch die Aktionäre bei Abstimmungen abgestraft oder die Strafandrohung hängt über ihnen wie ein Damoklesschwert. Die Minder-Initiative ist hier als erster Schritt zu mehr Mitspracherecht der Aktionäre zu sehen.
Weitere Unternehmen werden in der Folge ihren Sitz in die Schweiz verlegen. Wenn alle Welt Aktien von Schweizer Unternehmen kaufen möchte – nur hier werden Aktionäre tatsächlich eingreifen können – bleibt anderen Unternehmen wenig anderes übrig, als ihren Hauptsitz in die Schweiz zu verlegen. Was die Schweizer durch den stückweisen Verlust des Bankgeheimniskuchens nun nach und nach verlieren, werden sie auf diese Weise mehr als wettmachen. Mit neuen Unternehmen entstehen weitere Arbeitsplätze – die Abzocker-Initiative aus dem Erfahrungsschatz eines Unternehmers entstanden ist gut durchdacht.
Weitsichtige sehen erstmals, wohin die Reise geht, wenn die Abzocker-Initiative angenommen wird: Nach den Wirtschaftskadern werden auch Spitzenleute aus der Politik in Zukunft durch die strafrechtliche Brille ihre Leistungen und Fehler gemessen sehen. So schließt sich der Kreis. Nun ist nachvollziehbar, warum weder die Wirtschaft noch die Politik für die Abzocker-Initiative sein darf. Doch – gelobt sei die direkte Demokratie in der Schweiz – die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger entscheiden.
Der parteilose Ständerat Thomas Minder (Porträt im Tages-Anzeiger) aus Schaffhausen ist selbst Unternehmer. Er geht – so habe ich es verstanden – davon aus, dass das Firmenvermögen der Aktiengesellschaft den Eigentümern gehört. Und das sind nun einmal die stimmberechtigten Aktionäre. Und daher sollen sie auch mitentscheiden dürfen, was damit geschieht. Wozu braucht es aber noch Manager, wenn die Aktionäre alles bestimmen wollen? Und wer möchte noch Manager werden, wenn es sich nicht mehr lohnt, ja wenn Strafe droht? Alles Fragen über Fragen.
Der Unternehmer Thomas Minder gleicht einem Spieler, der im Kasino sitzt, seine Einsätze auf Rot setzt und die Chancen bei über 50 % sieht. Er spielt hoch mit persönlichem und existenziellem Einsatz. Doch unklar ist der Ausgang. Die Zuschauer setzen sich aus Gegnern und Befürwortern zusammen. Er kann gegen die millionenschwere Bank auf Dauer nicht gewinnen. Das weiß er und setzt nur einmal alles auf eine Karte. Die Sympathien sind auf seiner Seite. Das dürfte den Ausschlag geben und die Kugel bei Rot stoppen. Wie Gruppierungen und Parteien in sich selbst zu diesem Thema uneins sind, zeigt ein Artikel des Tages-Anzeiger.
© 2013 Hans-Jürgen John
Hans-Jürgen John ist auf Twitter, auf Facebook und bloggt u.a. auf Johntext Schweiz.