Wegkreuzungen von Hans-Jürgen John

Mein Vater hatte diesen Ausweis, mit dem man sein Auto an Behindertenparkplätzen abstellen konnte. Er war zu 100 Prozent schwerkriegsbeschädigt.

Als Hitler seinen Kriegsfeldzug damit begann, dass er Polen überrannte, wurde mein Vater zusammen mit seiner Mutter davon überrascht. Er war gerade 19 Jahre alt. Sie hatten eine kleine Landwirtschaft in Mogilno. Hitlers Truppen nahmen junge Polen gleich mit zum Russlandfeldzug. Mein Vater war dabei. In den Karparten wurde er dann verwundet. Er verlor sein linkes Bein, war auf einem Auge blind und hatte diese Splitter im Körper, die sich immer wieder über Schmerzen meldeten.

Mit der Beinprothese konnte er leidlich laufen. So fuhr er gern mit dem Auto. Ich erinnere mich aus meiner Kindheit an viele seiner Aussagen. Kamen wir an ein Wegkreuz – es gibt sie vor allem auch in Süddeutschland und mitunter mit dem Jesus daran – so pflegte er zu sagen: «Schau Hans, da haben sie Jesus schon wieder gekreuzigt.» Dieser Satz prägte sich mir ein. Ja, ich gab ihm recht. «Warum denn das?», fragte ich mitunter. Und ich wusste die Antwort schon auswendig. «Das weiß niemand.»

Zur Erinnerung an das Leben und Wirken Jesu wird oft der Jesus am Kreuz dargestellt. Dabei bestand sein Leben nicht nur aus der Kreuzigung. Oft sind diese Kreuze gespendet und erinnern an Unfälle, Verbrechen oder einfach an gläubige Stifterfamilien.

Wir kommen im Leben an vielen Kreuzungen vorbei. Jede Entscheidung lenkt unser Schicksal und beeinflusst unseren Weg. Dabei sind die Auswirkungen von Entscheidungen nicht immer sichtbar. Im Zweifelsfall müssen wir tun, was uns richtig erscheint. Seltener wechseln wir die Location, unseren Lebensmittelpunkt. Doch auch das muss manchmal sein. Und so hilft uns bei diesen Entscheidungen der Blick zurück in die Vergangenheit.

© 2013 Hans-Jürgen John

Hans-Jürgen John ist auf Twitter, auf Facebook und bloggt u.a. auf Johntext Schweiz.

 

 

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